Knapp 700m über dem tiefblauen See Ringedalsvatnet streckt der Troll seine Zunge aus. Ob es damals so von ihm geplant war, dass sich nun jeden Sommer zahlreiche Touristen auf ihm tummeln? Wie unzählige, kleine Tierchen, die auf seiner Zunge kribbeln. Aber nun ist es passiert, ob er es so wollte oder nicht.
Im Jahr 2012 wollten wir das erste Mal zur Trolltunga laufen. In der Touristeninformation in Odda riet man uns jedoch davon ab. Der Winter war lang auf 1000m über dem Meeresspiegel und ohne Schneeschuhe und Sonnenbrille hätten wir es wohl nicht geschafft. Also musste ich mich weitere vier Jahre gedulden bis es endlich soweit war. 2013 haben meine Eltern bereits die Generalprobe gemacht, damals noch über die alten Gleise und mit wenig Verkehr auf der Strecke. Und nun, da wir 2016 alle dabei sind, sollte es auch für uns soweit sein.
Der Wecker klingelt früh am Morgen, wir wollen zeitig starten. Und wie es meistens ist, kommen wir so gar nicht zeitig los. Als wir oben am Parkplatz in Skjeggedal ankommen, fühle ich mich in meine Kindheit zurückversetzt.Es ist so wie damals, als wir in den Freizeitpark fuhren. Autos über Autos. Und wir haben noch Glück, dass wir einen Platz abseits auf einem Schotterweg bekommen. 250 NOK müssen wir trotzdem bezahlen (Stand 2017 schon 300 NOK). Aber besser, als das Auto unten abstellen zu müssen und dann mit dem Bus hochzufahren.
Die Gleise kann man mittlerweile nicht mehr begehen. Sie werden bereits abgebaut. Und so startet der Weg am Anfang des Parkplatzes. Unzählige Warnhinweise pflastern den Startpunkt. Bist du zeitig genug los? Hast du genügend Verpflegung dabei? Hast du dir warme Klamotten eingepackt?
Zunächst halte ich es für etwas übertrieben, aber im Laufe der Wanderung verstehe ich, warum.
Die Wanderung beginnt sehr steil. Man kommt direkt ins Schwitzen. Einige stehen bereits nach den ersten Höhenmetern pumpend am Wegesrand. „Wenn das so weitergeht“, denke ich, „sind wir ja gleich oben.“ Doch nachdem das erste Stück überwunden ist, kommt die Ernüchterung – 1km geschafft… Wie bitte?! Die nächsten zwei Kilometer sind allerdings recht entspannt zu laufen. Hier und da ein paar Holzbrücken, aber immer schön eben über das Fjell. Kräfte sammeln für den nächsten Anstieg.
Nach etwa der Hälfte des zweiten, steilen Abschnittes kommen uns die Ersten entgegen, die aufgeben mussten. Auf dem schmalen Pfad geht es nur sehr langsam voran. In dem Nadelöhr muss man sein Tempo der Masse anpassen. Ich empfinde es als wesentlich anstrengender, wenn man nicht sein eigenes Tempo laufen kann. Zum Glück ist der schmale Teil nicht sehr lang. Danach geht es mit mehr Freiraum über glatte Felsen weiter nach oben. Die Menge hat sich etwas verteilt, als wir die Schneefelder erreichen und ich bin ganz froh darüber, denn auf diesen gibt es nur eine Spur, während man links und rechts bereits das durchsickernde Wasser sehen kann. Seine türkise Farbe leuchtet wunderschön in der Sonne, aber man kann gut erahnen, wie furchtbar kalt es ist.
Wir reihen uns ein, wie Perlen auf eine Schnur. Weichen den Löchern aus, durch die der ein oder andere wohl nasse Füße bekommen hat. Es sieht schon amüsant aus, wie die Spur im Schnee immer gerade aus verläuft bis plötzlich ein Knick kommt. Wie in einem Cartoon, wenn der Maulwurf sich unter der Erde langgräbt, bis er gegen ein Hindernis stößt und dann im Halbkreis darum buddelt. Nur, dass es hier dunkle Löcher sind, die scheinbar im Nichts enden und aus denen entfernt Wasserrauschen dringt. Durch unsere Sonnenbrillen starren wir auf den Schnee, achten auf jedes kleinste Geräusch und sind froh, als wir wieder festen Boden unter den Füßen haben.
Wir laufen über die schier unendlichen Ebenen des Fjells. Es scheint so, als könne man ein leises Lachen von den Kilometerschildern hören. „Haha! Noch immer sechs Kilometer!” Ich versuche, sie zu ignorieren. Oberhalb der 1000m hat sich jegliche Vegetation, bis auf ein paar Flechten und Moose, eingestellt und die Sonne scheint unbarmherzig, wohlwollend auf uns hinab. Oft weiß ich nicht, ob mir warm oder kalt ist. Ein kleiner Anstieg – wow, ist das heiß hier. Ein kurzer Windstoß – brrr, ich erfriere! Und so laufen wir und laufen und laufen. Über Stock und Stein, Flüsse und Bäche, zerbrochene Holzbrücken und vereinzelte Bretter. Bis wir sie sehen können. Die Trolltunga. Zumindest weit entfernt. Von hier sieht es aus, als würden kleine, bunte Ameisen auf einem winzigen Felsvorsprung auf und ab springen.
Die letzten zwei Kilometer führen uns noch einmal über Schneefelder. Hinter einem unscheinbaren Hügel hören wir plötzlich unzählige Stimmen durcheinander reden. Wir sind angekommen. Von der Seite sieht die Trolltunga so verdammt schmal aus. „Oh je, da gehe ich niemals drauf“, denke ich. Die Augen der Anderen verraten mir ebenfalls den großen Respekt vor der herausgestreckten Zunge. Doch erstmal pausieren wir, laufen ein wenig herum, begutachten das Spektakel, das Einige da veranstalten. Als Micha und Susann den Entschluss fassen, die Trollzunge zu begehen, fühle ich mich motiviert, es auch zu tun.
Anstellen für die Hauptattraktion. Einmal mehr fühle ich mich in den Freizeitpark zurückversetzt. Jeder will etwas Spektakulärer sein. Das beste Foto haben. Und dafür sein Leben riskieren. Ich schaue lieber weg, als ein Mann „König der Löwen“-mäßig sein kleines, schreiendes Baby über den Abgrund der Trolltunga hält. Aber okay, bleiben wir bei der Sache. Als ich davor stehe, wirkt sie gar nicht mehr so schmal. Von etwa 5m Breite am Beginn, verläuft sie spitz zulaufend nach vorne.
Eine Minute des Glücks auf der Trolltunga
So wirklich genießen kann ich das alles nicht. Als ich dann endlich auf der Trolltunga stehe, der wunderschöne blaue See 700m unter mir liegt, ich auf gleicher Höhe mit den mächtigen Berggipfeln stehe, tief durchatme, ist die Minute Zeit wie im Nichts vergangen. Das Glück durchströmt mich für einen kurzen Augenblick, wie nach einer Achterbahnfahrt. Aber so richtig mein Ding ist es nicht. Eine Stunde anstehen für eine kurze Minute Freiheit spüren. Als ich mich wieder umdrehe, schauen unzählige gespannte Augen auf mich. Nein, ich habe keine aufregende Pose geplant. Ich wühle mich zurück durch die Menge.
Nachdem es sich langsam leert, treten auch wir den Rückweg an. Es ist schon wesentlich entspannter zu laufen, wenn man nicht so viele andere Füße vor sich hat. „Danke, dass wir nie so zeitig loskommen, wie geplant.“, denke ich. Erst jetzt kann ich die Natur so richtig wahrnehmen. Die leuchtenden Farben, die saubere, klare Luft, die Stille. Das Fjell liegt sanftmütig vor uns und die Sonne präsentiert es im schönsten Licht.
Als wir den letzten Kilometer absteigen, ist es schon sehr frisch. Ein paar Mutige quälen sich mit ihren Trekkingrucksäcken den steilen Hang nach oben und eine Wandergruppe mit Guide nach unten. Er hat sichtlich alle Hände voll zu tun, die Mädels wieder in einem Stück nach unten zu bringen.
Susann und ich sind zu erst unten. Auf einer Bank liegend, meldet sich mein Körper. Ein Zwicken hier, ein Brennen da. Ja, es war in der Tat anstrengend. Am Ende bin ich dennoch glücklich, dort gewesen zu sein. Einmal DAS Aushängeschild Norwegens gesehen zu haben, aber für mich steht fest: Nicht nochmal! Versteht mich nicht falsch, es ist wunderschön dort, alle Mühe wert und ich empfehle es als „Muss man mal gesehen haben“, aber eigentlich fahre ich nicht nach Norwegen, um mich wie in einem Freizeitpark zu fühlen. Und sind wir mal ehrlich. Wer mit offenen Augen durch Norwegen wandert, kann so viele Trolle entdecken. Eine Fingerspitze hier, eine Trollnase dort. Und so ungestört verbunden mit der einmaligen Natur sein.
Eine gute Vorbereitung auf die anspruchsvolle Wanderung ist ein Muss
Bitte vergesst eure Wanderschuhe und warme, regensichere Kleidung nicht. Eine Sonnenbrille ist auch von Vorteil. Trinkwasser kann überall am Wegesrand aufgefüllt werden. Und erkundigt euch vorher über das Wetter. Erst vor Kurzem habe ich einen Bericht über Wanderer gesehen, die sich auf dem Weg zur Trolltunga im Nebel verirrt hatten und von der Bergwacht gerettet werden mussten. Das wollt ihr euch ja sicher ersparen.
Insgesamt waren es 22,5km bei einem Gesamtanstieg von 1456m. Wir waren gute 12 Stunden unterwegs, davon etwa 2h direkt an der Trolltunga.
4 Kommentare
Oliver Huber
12. August 2017 um 16:20Hey,
dieses Bild habe ich schon so oft im Web gesehen und jetzt endlich mal eine tolle Wanderbeschreibung dazu. Jetzt weiß man worauf mann sich hier einstellen muß und wie es ab und an auf der Trolltunga zu geht. Sehr schön geschrieben gefällt mir.
thenorthtraveller
13. August 2017 um 9:34Ich danke dir!
Anni
14. Mai 2018 um 11:11Hej,
Danke für den schönen Bericht über die Wanderung zur Trolltunga!
Wir fahren im August für 11 Tage (leider haben wir nicht mehr Zeit) nach Südnorwegen und sind auch keine Fans von “fühlen wie im Freizeitpark”. Hast du vielleicht Tipps für Wanderungen, die nicht Massenveranstaltungen gleichen? Irgendwas, wo man nahezu allein ist und die Natur einem trotzdem den Atem raubt? Gern auch anspruchsvoll 🙂
Liebe Grüße
Anni
thenorthtraveller
14. Mai 2018 um 17:05Hei Anni,
vielen Dank! Ganz so häufig war ich in Südnorwegen tatsächlich noch nicht unterwegs.
Hier habe ich ein paar Tipps für die Region Hordaland aufgeschrieben: https://www.thenorthtraveller.de/hordaland-highlights-geheimtipps/
Zwar auch etwas mehr Betrieb ist auf der Wanderung zum Buarbreen, aber dafür ist sie wirklich toll. Weniger anspruchsvoll geht es zum Krokavatnet bei Norheimsund, die Aussicht ist dagegen genial und man ist so ziemlich komplett alleine unterwegs, so wie auch hoch zur Mönchstreppe (etwas anspruchsvollere Wanderung). Ich wünsch euch auf jeden Fall gaaaanz viele, tolle Erlebnisse!
Liebe Grüße
Steffi