Lange haben wir überlegt, ob wir die Schlittenfahrt mit Rentieren oder mit Huskys machen. Am Ende hat uns überzeugt, ein samisches Dorf zu besuchen und Interessantes über ihre Kultur zu erfahren. Abgeholt werden wir im Zentrum von Tromsø. Insgesamt sind wir etwas mehr als 30 Personen. Mit dem Bus geht es circa 45 Minuten bis an den Rand der Lyngenalpen. Der Schnee stapelt sich am Wegesrand immer höher, während sich der Bus weiter durch das Fjell schlängelt. Mitten im Nirgendwo halten wir an. Auf der linken Seite steht ein kleines Haus, rechts ein großes Zelt. Wir bekommen die Anweisung, uns im Haus warme Kleidung überzuziehen und uns so schnell wie möglich draußen zu versammeln. Die erste Gruppe soll direkt zu den Schlitten, die Zweite zur Rentierfütterung. Wir kommen in die erste Gruppe. Hinter dem Haus stehen bereits alle Schlitten inklusive Rentieren bereit. Die nächste Anweisung folgt sofort: „Fasst die Rentiere nicht an. Setzt euch direkt in die Schlitten. Fotografieren bitte erst später.“ Jawohl, wird gemacht!
Die Rentiere stehen mit ihren prächtigen Geweihen aufgereiht vor ihren Schlitten. Eigentlich müssten sie vor Stolz nur so strotzen, auf mich wirken sie jedoch energielos – mit hängenden Köpfen wartend auf das Unvermeidliche. Die zwei Sami wirken etwas gehetzt, während sie die Rentiere fest an die Schlitten binden. Alles strikt nach Zeitplan. Das Rentier direkt neben uns scheint nicht sehr erfreut über die Befestigung an unserem Schlitten und schnauft genervt vor sich hin. Und dann geht es auch schon los. Wie an einer Perlenkette aufgereiht, bewegen wir uns in einem riesigen Schlittenpulk vorwärts. Ganz vorne wird das größte Rentier von einem Sami geführt. Der Rest folgt auf Schritt und Tritt. Während Mutti links fast aus dem Schlitten kippt, kommt mir das Rentier auf der rechten Seite immer näher. Anfangs habe ich schon etwas Respekt vor dem spitzen Geweih, doch mehr und mehr reift das Gefühl von Mitleid in mir.
Mehr oder weniger entpsannt liegen wir auf den Schlitten. Im Schritttempo geht es durch die wunderbar verschneite Landschaft, während der Mond bereits hoch am Himmel strahlt. Wir ziehen einen großen Kreis durch den Schnee, der bereits von den vorangegangenen Touren seine Spuren trägt. „Tag für Tag musst du das mitmachen.“, denke ich. Als es ein Stück bergauf geht, beginnt das Rentier rechts von mir zu hecheln, wie meine Hündin, nachdem sie bei 25 Grad drei Mal den Ball holen war. Hin und hergerissen zwischen Faszination und Mitleid sind wir nach etwa 15 Minuten wieder am Ausgangspunkt. Es folgt der fliegende Wechsel. Erste Gruppe runter, zweite Gruppe rauf. Ich will noch ein paar Fotos machen, da kommt bereits der Ruf: „Los los! Es geht zur Rentierfütterung!“
Am kleinen Gehege angekommen, gibt es eine Wanne voll Moos, an der sich jeder bedienen kann. Im Gegensatz zu den Rentieren vor den Schlitten, befinden sich im Gehege nur Jungtiere und Mütter mit abgesägten Geweihen. Sicherlich, um die Verletztungsgefahr zu mindern. So wirklich hungrig scheinen diese jedoch nicht mehr zu sein. Bis die erste Scheu der kleinen Rentiere überwunden ist, dauert es ein wenig, aber ihr Interesse am Futter hält sich weiterhin in Grenzen. Ein großer Sami, in blauer Winterjacke und mit Fellmütze auf, erzählt uns währenddessen etwas über die Rentierzucht. Entgegen meiner ersten Eindrücke bin ich erstaunt, dass sich das Leben der Sami komplett nach den Rentieren richtet. Nicht umsonst sind sich die beiden Wörter auf Samisch sehr ähnlich – Leben heißt eallin, Herde eallu.
Über das Leben der Sami erfahren wir mehr in der Kote
Kurze Zeit später versammeln wir uns alle in dem riesigen Zelt – bei den Samen besser bekannt als Kote. In der Mitte erhellt ein warmes Feuer den Innenbereich. Während Essen und Trinken verteilt wird, beginnt der große Sami von Kultur und Sprache zu berichten. Humorvoll gibt er uns einen kleinen Einblick in das Leben seines Volkes. Am Ende bekommen wir sogar noch einen Joik vorgetragen, der Gesang der Sami. Ich bekomme Gänsehaut, wohl aber auch dem gefrorenen Boden unter meinen Füßen geschuldet, dessen Kälte sich langsam durch meine Schuhe frisst. Gerne hätte ich das verbliebene Tageslicht noch für ein paar Fotos genutzt, doch nachdem das Zelt wieder geöffnet wird, müssen wir wieder direkt zum Haus – umziehen und zurück in den Bus.
Die 45-minütige Rückfahrt ziehen wir Bilanz. An und für sich war es eine interessante Tour und Erfahrung. Über das Leben der Samen wissen wir auf jeden Fall mehr. Etwas enttäuschend war das hoch angepriesene Sami-Dorf. Ein Haus, ein Zelt, ein Gehege. Einzig und alleine dafür aufgebaut, Touristen zu empfangen. Ein wenig mehr hatte ich schon erwartet. Etwas mehr Kultur, mehr Menschen, mehr freilaufende Rentiere. Diese wirkten jedoch leer und ausgebrannt, was mir wirklich Leid tat. Aber wie einer der Samen sagte: „Wer wirklich sehen will, wie die Sami leben, kommt etwa 300 Jahre zu spät.“
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