In einem Minibus fahren wir zu sechst durch die Nacht. Die hell erleuchteten Häuser ziehen an uns vorbei, kleine Lichter in der Dunkelheit. Immer wieder gehen die bangen Blicke durch die Fensterscheibe gen Himmel. Vielleicht haben wir Glück, vielleicht auch nicht. Hannah rief mich morgens an – die Wettervorhersage sah nicht besonders rosig aus. Die Bewölkung sollte ab 19 Uhr immer mehr zunehmen. Sie lies uns die Wahl, ob wir heute fahren wollen oder morgen. Allerdings war für morgen auch noch Sturm angesagt. Ob nun bewölkt oder bewölkt mit Sturm, da fiel uns die Entscheidung recht leicht.
Hannah und Jeff, beide passionierte Nordlichtjäger, holten uns direkt von unserer Unterkunft ab. Über Kaldfjord, wo wir noch zwei Spanier einsammelten, ging unsere Tour Richtung Norden. Dort solle es sich erst später bewölken. Weiße Schleier verdecken bereits die Sterne und die Blicke werden etwas besorgter. Aber Jeff ist sich sicher – heute sehen wir Polarlichter! Während Hannah immer wieder nach draußen schaut, braust Jeff über die vereiste Straße. Gerade waren wir noch im Licht der Stadt unterwegs, nun eröffnet sich vor uns die pure Dunkelheit. Die Straßen werden immer kleiner, enger und steiler bis wir nach etwa 45 Minuten Fahrt unser Ziel erreichen.
Wir halten mitten zwischen schneebedeckten Bergen
Wir sind umgeben von schneebedeckten Bergen irgendwo auf einem Fjell. Vereinzelt stehen karge Bäume in der Landschaft. Und diese Stille – unfassbar. Während Jeff mithilfe einer Schaufel, ein paar Rentierfellen und einer Feuerschale eine gemütliche Wohnzimmeratmosphäre schafft, hilft uns Hannah, in die Thermoanzüge zu schlüpfen. Der Unterschied ist Wahnsinn. Wo ich gerade noch dachte, ich überstehe keine fünf Stunden hier draußen, ist mir plötzlich wohlig warm. Auch dank der Fuß- und Handwärmer, die ich mit nach Tromsø genommen hatte. Wir beginnen, unsere Stative samt Kamera aufzubauen. Der Himmel ist etwas verschleiert, Sterne kann man hinter dem weißen Band aber dennoch gut erkennen. Am Horizont, Richtung Norden, entdecken wir mit viel Fantasie eine grüne Trübung. Auf der Kamera kann man tatsächlich schwaches Polarlicht ausmachen.
Nach einigen Fotos merke ich, dass sie nicht richtig scharf sind. Mein Objektiv steht auf manuellem Fokus und unendlich. Hannah erzählt mir, dass sie das schon öfter beobachtet hat. Nicht alle Objektive, die man auf unendlich scharfstellt, sind auch wirklich scharf. Ich nutze die Zeit, um die richtige Einstellung zu finden, während das Polarlicht sanft und kaum sichtbar vor uns hinschwebt. Gerade zum rechten Zeitpunkt habe ich meine Kamera endlich richtig eingestellt, da tippt mir Mutti auf die Schulter. „Siehst du das auch?“ Direkt über uns baut sich ein schwach leuchtendes, grünes Band auf. Da ruft Hannah schon – Polarlicht!
“Ist das nicht Wahnsinn?!”
Ich richte meine Kamera in die Richtung und drücke ab. Hinter den Bergen strahlt der Mond hervor und ein bisschen sieht es so aus, als würde direkt aus ihm ein Herzschlag-Nordlicht kommen. Mit dem Kopf im Nacken strahlen wir doppelt so hell wie der aufgehende Mond. Was für ein Gefühl! Das Grün kann man mit dem Auge kaum ausmachen. Ein flüchtiger Blick und man könnte denken, eine graue Schleierwolke zieht über den Himmel. Doch wenn man genauer hinschaut, sieht man eindeutig, dass es Polarlicht ist. Das Band tanzt in all seiner Ruhe über den gesamten Himmel und Mutti strahlt über das ganze Gesicht. „Ist das nicht Wahnsinn?!“ Es macht mich überglücklich, sie so begeistert zu sehen. So lange wollten wir uns diesen Traum schon erfüllen und endlich war es soweit.
Überschwemmt von Glücksgefühlen laufen wir hin und her, strecken die Köpfe zum Himmel, während uns ab und zu ein kurzes WOW über die Lippen rutscht. Am Liebsten will man sein Glück einfach nur rausschreien. Selbst wenn man damit die Stille für einen kurzen Moment erschrecken würde. Die Zeit verfliegt, bis wir uns dann doch einen Moment vom Feuer wärmen lassen und Linsensuppe, selbstgebackenen Kuchen und Tee genießen. Als wir uns von den Gesprächen losreisen können, bemerken wir, dass das Polarlicht noch einmal an Intensität zugenommen hat.
Die Polarlichter tanzen den ganzen Abend für uns
Tatsächlich kann man mittlerweile das Grün sehr gut erkennen. Kein gräulicher Schleier mehr, sondern ein grüner Bogen, der seine Bahnen zieht, baut sich vor uns auf. Hannah nutzt die Gunst der Stunde und verewigt uns und die Nordlichter in einem Foto. Wir können unser Glück kaum fassen. Als Hannah heut morgen anrief, hatten wir schon fast damit abgeschlossen, Polarlichter zu sehen und eben nur ein paar schöne Landschaftsaufnahmen machen zu können. Aber was wir heute Abend erleben dürfen, hätten wir im Traum nicht gedacht.
Ein Moment des Innehaltens, die Stille rast durch die blaue Nacht. Grüne Bögen tanzen über uns hinweg, als könnten sie in der Stille leise Musik ausmachen. Der Mond zaubert dunkle Schatten in den weißen Schnee. Und ich frage mich, ob man noch mehr Seelenfrieden finden kann. Ich drücke Mutti ganz fest und kann es nur immer wieder sagen: Danke! Für diese perfekte Nacht!
Und auch ein riesiges Danke an Hannah und Jeff, die uns dieses Erlebnis ermöglicht haben. Für alle, die bei Tromsø eine Polarlichttour machen möchten, kann ich euch die beiden wärmstens empfehlen. Die Atmosphäre war die ganze Zeit über entspannt und familiär und wir haben uns richtig wohl gefühlt. Weitere Informationen bekommt ihr auf ihrer Homepage (englisch): www.northernsouladventures.com
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