Nach all den vielen Wanderungen immer in Begleitung, bin ich während der Urlaubsvorbereitung 2014 auf die grandiose Idee gekommen, doch einfach mal eine Tour ganz alleine zu machen. Einsam in der Wildnis. Verloren in eigenen Gedanken. Eine Art kleine Mutprobe. Zeit für mich. Für Fotografie. Nur Steffi und die unberührte Natur. So der Plan…
Vorbildlich informiere ich mich über eine Wanderung auf dem Blåfjellet. Von Stongfjorden über die Nipebu nach Rindane. Nicht wirklich bekannt, aber gekennzeichnet. Die Messung sagt 13,7 km. Das sollte ja locker zu schaffen sein.
Und so bricht der Tag an, an dem ich eines Besseren belehrt werden soll. Die Sonne strahlt, der Himmel ist wolkenlos bei etwa 24 Grad. Meine Eltern bringen mich zum Ausgangspunkt in Stongfjorden und da Vati wohl nicht so ganz von meiner Idee überzeugt ist, bekomme ich sein GPS-Gerät mit – „nur zur Sicherheit“.
Der erste Kilometer, nur leicht bergauf, ist schnell geschafft und schon zeigt mir das GPS einen Weg an, wo eigentlich keiner ist. Nun gut, ein Pfad vielleicht. Also vertraue ich auf das Navigationsgerät und gehe über den Fluss eben diesen Pfad weiter nach oben. Immer mehr Pflanzen ranken sich über den matschigen Boden bis ich schließlich mitten im Moor stehe. Um mich herum quakt es unaufhörlich und so langsam kommt mir der Gedanke, dass ich hier doch nicht richtig bin. Also kehre ich um, zurück auf den großen Weg. Gerade, als ich den Fluss überqueren möchte, höre ich ein Quaken unmittelbar vor mir. Mein Fuss ist schon dabei, auf den Boden zu treten, da sehe ich diese dicke, häßliche Kröte. Meine Entscheidung muss im Bruchteil einer Sekunde fallen, ob ich sie unter meinem Schuh zerquetsche oder ins Wasser trete. Ich entscheide mich für das Wasser, der Kröte zu liebe. Oder vielleicht auch aufgrund des Ekels.
Die erste Stunde ist vergangen und ich sitze da, auf den Steinen, trockne meinen Socken in der Sonne und frage mich, ob ich wirklich so unfähig bin, eine Wanderung alleine zu schaffen. Nachdem ich meine Stulle gegessen und meine Gedanken geordnet habe, beschließe ich, den steinigen, ausgebauten Fußweg weiterzugehen. Einfach mal sehen, wo er mich hinführen wird. Und tatsächlich, nach ein paar glücklichen Entscheidungen an Kreuzungen, steht vor mir das Schild: Nipebu! Genau die Hütte, die auf meinem Weg liegt. Endlich richtig. Wie lange alleine das gedauert hat, verrate ich jetzt mal lieber nicht.
Eine halbe Ewigkeit vergeht, bis ich den richtigen Weg finde
Von nun an geht es steil den Berg hinauf. In Serpentinen, berankt von Farnen, die es unmöglich machen, den kleinen Pfad wirklich richtig zu erkennen, laufe ich immer weiter. Wahrscheinlich bin ich dieses Jahr die Erste, die diesen Weg geht. Und dann kommen sie, die Fliegen. Ich fühle mich wie eine Kuh, umgeben von tausenden nervigen Fliegen. So etwas habe ich noch nie erlebt! Ich kann den sowieso schon kaum erkennbaren Weg nicht mehr sehen. Folge scheinbaren Schafspfaden. Wieder die falsche Richtung. Sagt das GPS. Und dann liegt plötzlich ein Baum mitten auf dem Pfad. Steil von oben hängt er hinab. Und ich komme erneut an den Punkt, mich zu fragen, was ich hier eigentlich tue. „Wenn du jetzt über diesen Baum steigst, dann kommst du auch nicht mehr runter!“, denke ich und gehe drei Schritte zurück. Ich hadere mit mir und entscheide mich dann doch zum Klettern. Wäre ich nur umgekehrt.
Ich lasse die Baumgrenze hinter mir, noch immer mit treuen, fliegenden Begleitern an meiner Seite, die mir den letzten Nerv rauben. Die Sonne brennt auf meiner Haut und ich versuche, mir schöne Gedanken zu machen. An einem Wasserfall kühle ich mich etwas ab, fülle meine Trinkflaschen auf und die Spitze des Berges ist mittlerweile auch schon zu sehen. Es geht aufwärts. Auch mit meiner Stimmung.
Ich kann den Pass sehen. Von da aus soll es nur noch querfeldein über das weite Fjell gehen und dann wieder nach unten. Dürfte ja nicht mehr so schlimm sein. Als ich jedoch sehe, was ich erst an Strecke gemacht habe, wieviel noch vor mir liegt und wieviel Zeit bereits vergangen ist, mache ich mir etwas Sorgen, ob meine 1,5l Trinkwasser reichen. „Ach was, ich bin in Norwegen. Hier gibt es überall Trinkwasser.“
Zeit wird zu meinem geringsten Problem
Am Pass angekommen stößt mir plötzlich ein eiskalter Wind entgegen. Yippie, die Fliegen sind weg. Brrrr, doch erstmal was anziehen. Es bewölkt sich und eigentlich bin ich ganz froh darüber. In den folgenden Stunden mache ich gut Kilometer, doch nirgends ist mehr ein Weg zu sehen. Lediglich rot bemalte Holzstiele schauen hier und da aus den Heidelbeersträuchern heraus. Ich laufe und verlaufe mich und laufe weiter, über Steinlawinen, Sträucher, vorbei an steilen Felswänden und über weitere Bergpässe. Manchmal entscheide ich mich lieber, über den Berg zu laufen, als direkt an der abfallenden Steilwand entlang. In Gedanken verloren, ob ich es noch schaffe, fällt es mir plötzlich auf: Mein Wasser ist alle! Und nirgends ein Bach. Alles ausgetrocknet hier oben von den vergangenen heißen Wochen. Selbst die Sträucher, trocken knarrzend unter meinen Schuhen, rufen scheinbar nach Feuchtigkeit. Natürlich gibt es Seen, aber wir wissen ja, was passiert, wenn Menschen aus stillen Gewässern trinken. Das hätte mir noch gefehlt. Und so richtig getraut habe ich mich einfach nicht. Ich schleppe mich also weiter. „So schnell verdurstet es sich schon nicht!“
Der Weg ist schier unendlich. Während ich den Blick immer auf das GPS gerichtet habe, damit ich nicht wieder Schafspfaden folge, fängt es glücklicherweise an zu nieseln. Ich spanne meine Regenhülle auf. Wasser sammeln. Der Powerriegel fühlt sich in meinem trockenen Mund an wie Pappe, harte Pappe! Mein Gaumen beginnt zu brennen. Da helfen auch die winzigen Wassertröpfchen nicht, um diesen hochangepriesenen Riegel runterzubekommen.
Und dann kann ich sie endlich sehen. Die Nipebu. Von da aus soll es nur noch über einen Pass gehen und dann bergab. Auch Mutti macht sich bereits Sorgen, wo ich denn verschollen gegangen bin. Mein Handy piepst unaufhörlich. Zum Glück habe ich überhaupt Empfang hier oben. Sie entschließt sich, mir entgegenzulaufen. Danke Mutti!
Die Nipebu markiert 2/3 der Gesamtstrecke
An der Hütte mache ich eine kurze Pause. Nochmal Energie tanken. Den Gedanken nicht loswerdend, wie unglaublich ungeeignet ich zum allein wandern bin. Oder hatte sich das Schicksal einfach gegen mich gewandt? Kröten, Fliegen, keine Wege, zu viele Wege, Wassernotstand! Alles auf einmal. Ich bin verzweifelt. Und erstaunt, dass der Körper immer weiter läuft, obwohl der Kopf schon gar nicht mehr will. Oder der Kopf weitermacht, obwohl der Körper nicht mehr will? Nützt nun alles nichts. Ich muss weiter.
Von der Hütte aus verläuft nun auch endlich wieder ein richtiger, markierter Pfad. Und auf dem Weg bergab treffe ich dann Mutti, die mir ganz aufgelöst entgegen marschiert. Wasser in der Hand, Banane im Rucksack. Hach, bin ich dankbar. In der Hektik hat Mutti auch noch ihr Handy unterwegs verloren. Mit viel Glück finden wir es aber voll funktionstüchtig wieder. Ich schmeiße ein Bein vor das Nächste. So wirklich viel von der Landschaft bekomme ich nicht mehr mit. Und als ich endlich unser Auto sehe, bin ich unglaublich erleichtert. Vielleicht auch ein wenig stolz. Dass ich nicht aufgegeben habe. Dass ich mich nicht einfach wartend irgendwo hingesetzt habe. Natürlich hatte ich mich selbst in diese Situation gebracht, aber ich bin ohne einmal wirklich zu zögern, immer weitergelaufen. Zwölf Stunden. 25 km. Gesamtanstieg 1667m. Völlig ausgelaugt.
Es klingt so, als wäre ich nie zuvor in meinem Leben in der Natur unterwegs gewesen. Als wäre ich allein der hilfloseste Mensch. Noch heute muss ich über meinen Unmut schmunzeln. Viele Fotos konnte ich leider nicht machen. Aber nun bin ich zumindest um eine Erfahrung reicher. Und ab sofort weiß ich umso mehr, dass man die Natur nicht unterschätzen sollte. Man sollte, wenn möglich, nicht unbedingt alleine unterwegs sein. Den Weg am Besten schon kennen, um Entfernung und benötigte Zeit einzuschätzen. Und immer genügend Wasser dabei haben! 😉 Was ich mir seitdem übrigens vor jeder Wanderung anhören darf…
2 Kommentare
Manuela
31. Juli 2017 um 21:43Schöne Geschichte. Sei stolz es geschafft zu haben. Ich war noch nie allein unterwegs, das ist mir zu riskant und zu zweit macht es einfach mehr Spaß, da hat man jemanden der genau weiß wenn man sagt: weißt du noch, als wir dort und dort waren…
thenorthtraveller
2. August 2017 um 9:02Hallo Manuela, vielen Dank und ja, da hast du recht. Zu zweit ist es doch schöner. Ich dachte, ein wenig Zeit für sich zu haben, kann ja auch mal ganz schön sein… Naja, dachte 😉